Entwicklungen in der beruflichen Vorsorge
In den letzten Jahren wurde das Umfeld der Pensionskassen dynamischer, komplexer, emotionaler und unberechenbarer. Da im Zusammenhang mit den eidgenössischen Wahlen im Herbst 2023 und den Abstimmungen im Frühjahr 2024 (u. a. BVG-Reform) grundsätzliche Fragen der Ausgestaltung der Altersvorsorge diskutiert werden, wird sich diese Entwicklung akzentuieren. Vor diesem Hintergrund erlaube ich mir, in meinem letzten Beitrag zur Swisscanto-Studie einige wünschbare Eckpfeiler für eine faktenbezogene vorsorgepolitische Diskussion zu skizzieren.
Es war 1972 ein weiser Entscheid, die Vorsorge auf drei Säulen abzustützen. Unser System zeigte sich in den letzten Jahrzehnten gegenüber verschiedenen Krisen, wie z. B. der Finanz- und Eurokrise, der Covid-Pandemie, dem Ukrainekrieg oder der Energiekrise, sehr widerstandsfähig. Gleichwohl wird die Zweckmässigkeit unseres Vorsorgesystems immer wieder in Frage gestellt. Dabei wird verschiedentlich die Frage aufgeworfen, ob die heutige Gewichtung der drei Säulen noch zeitgemäss sei. Diesbezüglich gilt es zu betonen, dass die kapitalgedeckte 2. Säule in der Schweiz einen zentralen Beitrag zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge leistet. In Erinnerung zu rufen ist z. B., dass die Pensionskassen (PK) im Vergleich zu vielen in- und ausländischen Finanzinstituten zwei sogenannte Jahrhundertkrisen in den Jahren 2001/2002 und 2008 ohne grössere Liquiditäts- und Solvenzprobleme gemeistert haben. Vom Zusammenspiel der 1. und 2. Säule gehen auch langfristig wirtschaftlich stabilisierende Wirkungen aus, die es zu erhalten gilt. Es bringt uns nicht weiter, wenn wir permanent die Säulen gegeneinander ausspielen. Vielmehr sind die jeweiligen Stärken zu kommunizieren, so z. B. die Tatsache, dass das in den PK gebildete Sparguthaben den Versicherten gehört und niemand anderem.
Gleichwohl sind Reformen notwendig. Wenn jedoch die eine Säule auf Kosten der anderen gestärkt wird, wird damit die Stabilität des Vorsorgesystems als Ganzes gefährdet. Es ist im Gegenteil alles daran zu setzen, dass beide Säulen auf lange Frist gesehen ähnlich leistungsfähig, aber auf unterschiedliche Weise finanziert bleiben. Kurzfristig ist uns allen noch die Tief- oder sogar Negativzinsphase in Erinnerung mit entsprechenden Problemen für ein kapitalgedecktes Vorsorgesystem. Langfristig aber ergibt sich von 1985 bis 2021 gemäss Berechnungen von c-alm für die 2. Säule eine Rendite von 3,58 Prozent (erzielte Rendite einer durchschnittlichen Anlagestrategie nach Abzug aller Verwaltungskosten) gegenüber der biometrischen Rendite von 1,56 Prozent für die AHV (Lohnsummenwachstum abzüglich Verwaltungskosten). Von einem besseren Preis-/ Leistungsverhältnis der AHV zu sprechen, ist demnach irreführend. Die Diversifikation über verschiedene Finanzierungsverfahren lohnt sich.
Zentrale Eckpfeiler der Diskussion müssen das Festlegen der Leistungsziele im Kontext der Leistungen aus AHV und beruflicher Vorsorge für die verschiedenen Lohnbereiche, die Anpassung des Leistungskataloges an gesellschaftliche Veränderungen sowie die Generationengerechtigkeit sein. Verschiedene Studien zeigen, dass das bei der Entstehung des Drei-Säulen-Systems vorgesehene Leistungsziel von 60 Prozent des letzten Bruttoeinkommens im BVG-Lohnbereich heute weitgehend erfüllt wird. Entscheidend ist, dass die Leistungsversprechen ökonomisch und versicherungstechnisch realistisch definiert werden.
Die möglichst realistische Festlegung der technischen Parameter ist die beste Grundlage für die Generationenfairness. Realistische Eckwerte in der beruflichen Vorsorge sind notwendig, damit die abgegebenen Leistungsversprechen auch eingehalten werden können. Zusammen mit der Regelung des Koordinationsabzuges, mit der Anpassung der Altersgutschriften und dem Beginn des Sparprozesses lassen sich Lösungen innerhalb der beruflichen Vorsorge finden, die das bisherige BVG-Leistungsniveau sicherstellen oder in tieferen Lohnbereichen sogar noch ausbauen.
In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass die immer wieder kritisierten Unterschiede zwischen den Geschlechtern bezüglich der ausbezahlten Altersrenten in der beruflichen Vorsorge nicht von den PK verschuldet sind. Die Rentenunterschiede zwischen Frauen und Männern sind vor allem auf die Verschiedenheit der beruflichen Laufbahnen mit Erwerbspausen und die Tatsache, dass Frauen häufiger als Männer Teilzeit arbeiten, zurückzuführen. Das heute bei der Rentenberechnung angewandte BVG-System führt dazu, dass vor allem Mehrfachbeschäftigte in der obligatorischen beruflichen Vorsorge benachteiligt sind – unabhängig von ihrem Geschlecht. Mit der BVG-Reform soll dies entschärft werden.
Im Kapitaldeckungsverfahren wird ein Teil der Kosten für die versprochenen Leistungen über Vermögenserträge finanziert – man spricht vom dritten Beitragszahler. Wer in diesem Zusammenhang aber einseitig die mit der Bewirtschaftung des Vorsorgevermögens von aktuell rund 1’160 Milliarden Franken anfallenden Vermögensverwaltungskosten ins Zentrum stellt, verkennt, dass das Ziel einer PK nicht in der Minimierung der Vermögensverwaltungskosten besteht, sondern auf das Erzielen einer möglichst hohen Nettorendite ausgerichtet sein sollte.
Falsch ist in diesem Zusammenhang die pauschale Kritik, es würden Milliarden von Franken durch die Finanzindustrie abgeschöpft und Geld, das den Versicherten gehöre, versickere. Diese Vorwürfe entbehren jeglicher Grundlage. In der beruflichen Vorsorge ist die Sensibilisierung für die Verwaltungskosten, insbesondere auch die Vermögensverwaltungskosten, sehr hoch. Mit der Weisung der OAK BV «Ausweis der Vermögensverwaltungskosten» (2013) wurde die Forderung nach mehr Kostentransparenz regulatorisch verankert.
Die Vermögensverwaltungskosten in der 2. Säule sind mit rund 0,5 Prozent des bewirtschafteten Vermögens in einem internationalen Vergleich durchaus konkurrenzfähig. Sie sind insbesondere gegenüber den Kosten für private Anleger deutlich tiefer. Fragwürdig sind auch Vergleiche der Verwaltungskosten einer PK mit denjenigen der AHV. Die Unterschiede sind systembedingt zu erklären und hängen mit der Selbstständigkeit, der Vielzahl und Vielfalt der PK und Vorsorgelösungen sowie den unterschiedlichen Informationspflichten über Leistungen und Beiträge, Geschäftsgang, Zusammensetzung der Gremien und Vorgehen bei Teilliquidationen bzw. Fusionen zusammen. Entscheidend für die Kosten ist das regulatorische Umfeld. Die Erfüllung der permanenten Informationsaufgaben der PK ist systembedingt aufwändiger als bei der 1. Säule.
Der Konsolidierungsprozess ist differenziert zu beurteilen. Die PK-Landschaft soll heterogen bleiben. Wie viele gut funktionierende kleinere und mittelgrosse Kassen auch in dieser Studie zeigen, ist die Grösse der PK allein nicht ausschlaggebend für die Qualität der Dienstleistungen. Entscheidend sind vielmehr die Führungsstrukturen sowie die Ausgestaltung der Finanzierungs- und Leistungspläne. Die Nähe zu den Betrieben ist eine Chance für die kleineren, firmeneigenen PK, denn hier zählt nicht die Grösse, sondern die Flexibilität und die unmittelbaren Kenntnisse der Strukturen.
Neben Sachentscheidungen aufgrund von Fakten und umfassenden Analysen muss schliesslich auch das Image der freiheitlichen und dezentralen 2. Säule beachtet werden; es geht darum, bei den Versicherten das Vertrauen in die berufliche Vorsorge zu stärken. Viele Versicherte fragen sich aufgrund von faktenfreien pauschalen Vorwürfen zunehmend, ob sie in sicheren finanziellen Verhältnissen in den Ruhestand gehen und ihren Lebensstandard halten können. In verschiedenen Umfragen wird das Thema AHV/Altersvorsorge zur Topsorge erklärt. Vor diesem Hintergrund müssen wir den Systemkritikern energischer entgegentreten. Die Stärken der 2. Säule sind hervorzuheben. Der Öffentlichkeit gegenüber müssen wir proaktiv erzählen (Storytelling), welchen Mehrwert die PK in der Praxis den Versicherten gegenüber erbringen. Es geht um das Vertrauen in die Robustheit, Zuverlässigkeit und Stabilität der PK und ins System «berufliche Vorsorge». Wegleitend für die Tätigkeit soll das Motto von Johann Heinrich Pestalozzi sein: «Vertrauen schenken ist eine unerschöpfliche Kapitalanlage.» Richtig verstandene Kommunikation leistet dazu einen wesentlichen Beitrag.
Die PK und die berufliche Vorsorge als Ganzes müssen ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen. Die vorliegenden Studienergebnisse zeigen, wie leistungsstark die PK insgesamt sind. Das hat nichts mit Schönfärberei, Zweckoptimismus oder Blindheit vor den Problemen zu tun, sondern mit einer positiven, faktenorientierten Geisteshaltung. Es ist alles daran zu setzen, dass die sozialpartnerschaftlich zusammengesetzten Führungsorgane weiterhin eigenverantwortlich ihre Aufgaben zum Wohle der Versicherten wahrnehmen können. Dazu braucht es in den nächsten Jahren jedoch sinnvolle und dauerhaft stabile Lösungen mit genügend Handlungsspielraum, die letztlich – das ist in der Schweiz entscheidend – auch von Volk und Ständen akzeptiert werden. In diesem Sinn ist der permanente Einsatz für eine starke, aber auch freiheitliche 2. Säule spannend, intensiv und herausfordernd. Er lohnt sich aber in jedem Fall. Ich wünsche Ihnen allen viel Erfolg dabei.