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Entwicklungen in der beruflichen Vorsorge

Das Haus in Ordnung halten

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Hanspeter Konrad lic. iur. Rechtsanwalt, Direktor ASIP

Die Stabilität unserer Altersvorsorge mit ihrer austarierten Zusammensetzung von Umlage und Kapitaldeckung bildet einen gewichtigen sozialpolitischen Vorteil für unser Land. Doch die tiefgreifenden wirtschaftlichen und demografischen Veränderungen erfordern Anpassungen. Auch die Ansprüche und Erwartungen der Destinatäre ändern sich. Dem muss die laufende Reform des BVG Rechnung tragen – ohne das Erreichte in Frage zu stellen.

Nachdem sich die Pensionskassen (PK) in den letzten zwei Jahren mit den Herausforderungen der Covid-19-Pandemie konfrontiert gesehen hatten, steht aktuell der Krieg in der Ukraine mit all seinen Facetten, vor allem dem unermesslichen menschlichen Leid, im Fokus. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der russische Einmarsch in die Ukraine die Erholung der Weltwirtschaft von den Folgen der Covid-19-Pandemie bremsen wird. Die indirekten Folgen des Krieges werden auch in der Schweiz spürbar: Lieferkettenprobleme, steigende Energiepreise, Inflationssorgen und steigende Zinsen.

Ob der Krieg in der Ukraine letztlich zu einer neuen globalen Ordnung führt, wird sich zeigen. Derzeit sind die längerfristigen Auswirkungen noch schwierig abzuschätzen. Der Konflikt ist aber sicher eine Zäsur – gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich. Angesichts dieser noch vor Kurzem unvorstellbaren Ereignisse müssen wir alles unternehmen, um das in Ordnung zu halten, was letztlich in der Verantwortung aller Akteure in der beruflichen Vorsorge, insbesondere auch der Sozialpartner, liegt. Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend einige dieser Aufgaben aus Sicht der beruflichen Vorsorge skizziert.

Hohes Gewicht kapital­gedeckter Renten in der Schweiz

Die Industrienationen erleben seit Jahren eine stetige Alterung der Bevölkerung. Bei hauptsächlich umlagefinanzierten Altersvorsorgesystemen müssen die Beiträge einer kleiner werdenden Erwerbsbevölkerung die Renten einer grösser werdenden Rentenbevölkerung finanzieren. Zahlreiche Länder reagierten in den letzten Jahren auf diese Problematik, indem sie verstärkt auf kapitalgedeckte Renten setzten.

Die Schweiz weist diesbezüglich eine gute Ausgangslage auf. Im internationalen Vergleich gehört sie zu den Ländern mit den grössten Vorsorgevermögen. Aufgrund dieser Entwicklungen verfügen die Schweizerinnen und Schweizer im Rentenalter über eine höhere durchschnittliche Kaufkraft als die ältere Bevölkerung in den Nachbarländern. Unser System der Altersvorsorge trägt entscheidend dazu bei, dass schwerwiegende Fälle von Altersarmut deutlich seltener vorkommen. Es gelingt insgesamt gut, Menschen im Rentenalter finanziell abzusichern. Die berufliche Vorsorge trägt zu diesem Befund entscheidend bei. Das muss auch so bleiben!

Strukturelle Veränderungen

Die Pensionskassenlandschaft wird durch zwei sich in den letzten Jahren verstärkende Entwicklungen geprägt. Erstens lässt sich eine anhaltende Konsolidierung unter den Pensionskassen (PK) feststellen. Während 2004 noch 2’935 PK aktiv waren, sank diese Zahl im Jahr 2020 auf 1’438. Zweitens führt dieser Prozess zu einer Verlagerung der Versicherten weg von firmeneigenen PK hin zu Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen (SGE). Inzwischen sind über 71 Prozent der aktiven Versicherten in SGE versichert. Zudem ist ein stetiges und deutliches Wachstum der Bilanzsummen der PK festzustellen. Während die Bilanzsumme 2004 noch 484 Mrd. Franken betrug, verzeichnen die 1’438 PK 2020 einen Wert von 1’063 Mrd. Franken. Zudem ist die Zahl der aktiv Versicherten in dieser Zeitspanne um rund 37 Prozent gestiegen.

Unabhängig davon, ob es sich um eine grosse oder kleine PK, eine SGE oder eine firmeneigene PK handelt, bleibt Professionalität ein unverzichtbarer Anspruch an die Arbeit von Führungsorganen. In diesem Zusammenhang wird häufig das Milizprinzip zwar als gute, typisch schweizerische Lösung beurteilt, angesichts der zu bewältigenden Heraus­forderungen und insbesondere der zu bewirtschaftenden Vermögen jedoch als zu wenig professionell qualifiziert.

Diese Sichtweise missversteht jedoch gerade die Bedeutung des Milizprinzips für die berufliche Vorsorge. Das Milizsystem ist nämlich seit jeher Garant für eine sozial­partner­schaftliche, paritätische Führung, indem es eine Vernetzung mit der Gesellschaft (Stifterfirma) wie auch die Nutzung der hauptberuflich erworbenen Kompetenzen mit sich bringt. Es sollte daher nicht relativiert oder gar abgeschafft, sondern konsequent umgesetzt werden. Dies umso mehr, als eine PK-Konsolidierung zu einer nicht zu unterschätzenden Entfernung der PK von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern und somit auch zu einer gewissen Anonymisierung führt, wodurch deren Interesse an der PK schwindet.

Anspruchsvolles Anlageumfeld

Neben den Beiträgen der Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden spielt der sogenannte 3. Beitragszahler eine zentrale Rolle. Die in den letzten Jahren erzielten guten Ergebnisse sind nicht zuletzt der hohen Professionalität der Führungsorgane geschuldet. Dabei ist auch in Erinnerung zu rufen, dass die PK im Vergleich zu vielen in- und ausländischen Finanz­instituten zwei schwere Finanzkrisen 2002 und 2008 ohne grössere Liquiditäts- und Solvenzprobleme gemeistert hatten.

Es wird sich zeigen, wie sich die wirtschaftlichen und weltpolitischen Unsicherheiten konkret auf die Vermögensbewirtschaftung auswirken. Entscheidend bleibt jedoch ein diversifiziertes Portfolio, das auch geopolitische Turbulenzen verkraften kann. Weiterhin zentral ist eine nachhaltige, ESG-orientierte Anlagepolitik. Die PK tragen die treu­händerische Verantwortung für eine nachhaltige, zukunftsorientierte Bewirtschaftung der Vermögen ihrer Versicherten. Es braucht diesbezüglich keine Regulierung des Gesetzgebers. Mehr Regulierung verstärkt die Bürokratie und bläht die Verwaltungskosten unnötig auf, führt aber zu keinem Zusatznutzen. Hingegen ermuntern wir die PK, gegenüber ihren Versicherten aufzuzeigen, in welcher Form sie die ESG-Kriterien in den Anlageprozess einbauen. Anzustreben ist ein praxisorientiertes ESG-Reporting.

Politische Reformdebatten

Angesichts der skizzierten Entwicklungen stehen die AHV- und BVG-Reformdiskussionen etwas im Schatten. Eine nachhaltige Sicherung der AHV und der beruflichen Vorsorge ist jedoch eine sozialpolitische Kernaufgabe und verlangt von Bundesrat und Parlament ein klares und zielgerichtetes Handeln. Der jahrzehntelange Reformstau muss endlich ein Ende haben. Nötig ist jetzt eine Politik, die transparent und vertrauensvoll aufzeigt, welche Massnahmen notwendig sind, um auch für die künftigen Generationen die «Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise» zu gewährleisten. Wir laufen sonst Gefahr, der jüngeren Generation immer grössere Lasten für immer geringere Leistungen aufzubürden.

Im Fokus der BVG-Reform, die derzeit in Bern diskutiert wird, muss daher auch die Frage der Gerechtigkeit zwischen den Generationen stehen. Es geht darum, dass die langfristige Sicherung der Renten im Kapitaldeckungsverfahren gewährleistet wird – ohne Ausbau der systemwidrigen Umverteilung. Ein Umlageverfahren wie bei der AHV, bei dem Geld von besser Verdienenden zu weniger gut Verdienenden umgelagert wird, widerspricht dem Sinn und Zweck der 2. Säule. Dafür wurde die 1. Säule geschaffen. Zudem soll die Reform finanziell für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für die Arbeitgeber tragbar und durch die PK operativ einfach umsetzbar sein.

In diesem Sinn hat der Nationalrat zu Recht den Vorschlag des Bundesrates, der zu einer neuen, systemwidrigen Umverteilung geführt hätte, sehr deutlich abgelehnt. Daran sollte sich auch der Ständerat orientieren. Positiv zu beurteilen ist vor allem, dass für die Übergangsgeneration nicht im Giesskannenprinzip Rentenzuschläge an Versicherte verteilt werden, die überhaupt keine Einbussen haben. Stattdessen liegt der Fokus nun zielgerichtet auf jenen rund 14 Prozent aller Versicherten, die tatsächlich und unmittelbar von einer Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes betroffen wären. Mit diesem sachlich korrekten, sozialen und fairen Vorgehen wird einerseits im Gegensatz zum Bundesrats­modell die Umverteilung von Jung zu Alt deutlich reduziert, und anderseits werden über die fixen Rentenzuschläge die tieferen Einkommen gestärkt.

Führungsfragen

Das aktuelle Umfeld fordert die Führungsorgane von PK heraus. Es zwingt sie, die Finanzierungs- und Leistungspläne immer wieder zu überprüfen und allenfalls anlagepolitische sowie versicherungstechnische Massnahmen zu ergreifen. Da die PK im Durchschnitt nach den letzten guten Anlagejahren stabil aufgestellt sind, sollten auch vor dem Hintergrund der drohenden Inflation und steigender Zinsen (welche mittel- und langfristig positiv für das Kapitaldeckungsverfahren sind) keine hektischen Entscheide gefällt werden. Zu Recht bildeten die PK nach der Finanzkrise 2008 wieder entsprechende Reserven.

Die zwischenzeitlich aufgebauten Reserven leisten einen wesentlichen Beitrag zur finanziellen Stabilität. Zudem bleibt jeder Vorsorgefranken im Vorsorgekreislauf und wird zugunsten der Versicherten eingesetzt. Es kann jedoch durchaus sein, dass sich in den kommenden Jahren vermehrt Fragen bezüglich der «gerechten» Zuordnung von Mitteln auf die Destinatäre unter Berücksichtigung unterschiedlicher Rentnergenerationen stellen werden.

Schliesslich werden sich die Führungsorgane auch mit Fragen der Digitalisierung und des Datenschutzes befassen müssen.

Fazit

Die Geschichte lehrt uns, dass neben den gesetzlichen Vorgaben, den versicherungs­technischen Voraussetzungen und den durch verschiedene, u.a. auch geopolitische Spannungen beeinflussten Entwicklungen an den Finanzmärkten auch aktuelle Ereignisse die berufliche Vorsorge prägen können. In solchen Situationen lohnt es sich, immer wieder die Stärken der im Kapitaldeckungsverfahren finanzierten 2. Säule, die sich gerade in den letzten Jahren manifestiert haben, in Erinnerung zu rufen. Die berufliche Vorsorge muss ihr Licht nämlich keineswegs unter den Scheffel stellen. Sie nimmt ihren Kernauftrag – die preiswerte Produktion von Rentenleistungen – wahr und leistet damit einen echten Beitrag zu einer nachhaltigen, vertrauenswürdigen und verlässlichen Vorsorge in der Schweiz.

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