Plädoyer für Selbstverantwortung
Eine stets wachsende Zahl an sozialpolitischen und ökologischen Forderungen wird an die 2. Säule gerichtet. Ihre primäre Aufgabe aber ist die Erbringung von Vorsorgeleistungen zu günstigen Bedingungen. Zudem haben die Pensionskassen bewiesen, dass sie auf freiwilliger Basis die unter dem Kürzel ESG bekannten Anforderungen einer modernen Anlagepolitik zu erfüllen bereit sind.
Beurteilt man die aktuellen Diskussionen rund um die berufliche Vorsorge, so könnte man den Eindruck gewinnen, dass von den Pensionskassen (PK) erwartet wird, alle (sozial)politischen Probleme zu lösen. Sie geraten zunehmend in den Sog einer von einem «politischen Moralismus» geprägten Debatte, die letztlich eine sachlich geführte Diskussion verhindert (vgl. «NZZ» vom 16. April 2021). Die stetig wachsenden Begehrlichkeiten – von der Förderung des Weltfriedens bis hin zur Bekämpfung der Erderwärmung – schränken den Handlungsspielraum der PK zunehmend ein und führen immer öfter zu Zielkonflikten.
Im Rahmen dieser Diskussionen sind vermehrt die Stärken der beruflichen Vorsorge zu unterstreichen, die sich auch in den letzten Jahren manifestiert haben. Ihr Leistungspotenzial macht die berufliche Vorsorge zu einer starken 2. Säule der schweizerischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge. Zudem tragen PK als langfristige Investorinnen von aktuell über 1’000 Milliarden Franken massgeblich zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bei. In diesem Zusammenhang ist auch zu unterstreichen, wie viel die PK im Bereich der nachhaltig orientierten Anlagepolitik bereits umgesetzt haben. Das zeigen u. a. die im Rahmen der Swisscanto-Pensionskassenumfrage 2021 erhobenen Daten.
Die verantwortlichen Führungsorgane befassen sich bereits seit Längerem mit diesen Fragestellungen. Dafür braucht es keine Regulierung. Die Anlagepolitik ist und bleibt Sache der paritätischen Organe – das ist richtig, denn sie tragen ja auch die Verantwortung für das Ergebnis. Es geht aber auf der anderen Seite auch keineswegs darum, den Anlageerfolg systematisch ökologischen Zielsetzungen unterzuordnen. ESG- und Klimarisiken sind Teil der ökonomischen Risiken und müssen entsprechend berücksichtigt werden. Das liegt zweifellos im langfristigen Interesse der Versicherten, denn dabei müssen keine Renditeeinbussen in Kauf genommen werden.
Vorsorgeeinrichtungen können nicht alle sozialen, ökologischen oder wirtschaftlichen Probleme lösen. Sie müssen sich zuerst auf ihre eigentliche Hauptaufgabe konzentrieren, nämlich Leistungen für die Versicherten zu einem günstigen Preis zu erbringen. Die finanzielle Lage hat sich zum Glück auch im Jahr 2020 nicht verschlechtert. Die PK haben im Gegenteil ihre Resilienz unter Beweis gestellt und gezeigt, dass sie solide aufgestellt und auch in Krisenzeiten widerstandsfähig sind. Gleichwohl steigt in einem Umfeld mit negativen Zinsen und einer weiterhin steigenden Lebenserwartung der Druck nach Reformen der Finanzierungs- und Leistungspläne von PK. Die sozialpolitische Agenda der Schweiz wird deshalb stark von der Diskussion um die Ausgestaltung unserer Altersvorsorge geprägt. Dazu kommen, auch wenn auf der politischen Traktandenliste der Klimawandel als Topthema in den letzten Monaten von der Covidpandemie verdrängt wurde, verstärkt Forderungen, in den Anlagestrategien Umwelt-, Sozial- und Corporate- Governance-Aspekte (ESG-Kriterien) zwingend zu berücksichtigen. Vor dieser Ausgangslage werden nachfolgend einzelne Aspekte der Vermögensbewirtschaftung und BVG-Reform aus praxisbezogener Sicht beleuchtet.
Der ASIP betont immer wieder, dass neben Anpassungen auf der Verpflichtungsseite auch die Bedeutung des dritten Beitragszahlers – der Vermögenserträge – nicht unterschätzt werden darf. PK müssen als Investorinnen die Vermögen ihrer Versicherten so bewirtschaften, dass Sicherheit und genügender Ertrag der Anlagen, eine angemessene Verteilung der Risiken sowie die Deckung des voraussehbaren Bedarfs an Liquidität gewährleistet sind. Basis dafür bildet eine langfristig ausgerichtete Anlagestrategie, die die Risikofähigkeit und -bereitschaft der PK berücksichtigt. Unter Wahrnehmung ihrer treuhänderischen Sorgfaltspflicht haben PK-Verantwortliche eine möglichst marktkonforme Rendite unter Inkaufnahme von vertretbaren Risiken zu erzielen.
PK müssen Schwankungen und Ausfallrisiken selber tragen. Risikoträger sind in erster Linie die Versicherten und die Arbeitgeber. Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden sollten sich daher bezüglich Regulierung der Vermögensbewirtschaftung Zurückhaltung auferlegen. Bezüglich der Ausgestaltung der optimalen Anlagestrategie und der Umsetzung bieten die aktuellen Bestimmungen den PK hohe Freiheitsgrade. Im Rahmen dieses Prozesses sind sich, wie auch eine Umfrage unter den ASIP-Mitgliedern zeigte, die PK ihrer ethischen, ökologischen und sozialen Verantwortung durchaus bewusst. Sie berücksichtigen aus Eigeninitiative Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Aspekte (ESG-Kriterien).
Die zentralen Ergebnisse der ASIP-Umfrage unterstreichen, dass für die PK die Hauptmotive für die Umsetzung von ESG / Nachhaltigkeit in der Anlagestrategie zum einen Nachhaltigkeit aus Überzeugung, zum anderen der Nutzen für das Risikomanagement sind. So verwendet bereits mehr als die Hälfte der PK die Ausschlussliste des Schweizer Vereins für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen SVVK-ASIR, und über ein Drittel hat eine Nachhaltigkeitsstrategie in ihrem Anlagereglement verankert. 60 Prozent bis 80 Prozent der PK, die in Aktien und Obligationen investiert sind, befassen sich mit einer Nachhaltigkeitsstrategie bzw. mit der Umsetzung sowohl von ESG-Negativ- als auch ESG-Positivkriterien. Nachhaltigkeitsstrategien finden aber auch bei über der Hälfte der in Immobilien und Private Equity investierten PK Anwendung. Ein Drittel der PK beteiligt sich an der Stimmrechtsausübung für Unternehmen im Ausland sowie mit einer Beteiligung von 40 Prozent am Engagement / Dialog mit Unternehmen.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen die Gestaltungsvielfalt bezüglich Umsetzung auf und untermauern die Tatsache, dass es nicht den Königsweg «ESG-Umsetzung» gibt. Es ist aber durchaus empfehlenswert, dass die PK freiwillig über ihre ESG-Aktivitäten berichten.
Wir stehen einmal mehr am Anfang einer herausfordernden politischen Auseinandersetzung rund um die Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG). Die PK vertreten dabei den Standpunkt, dass eine Lösung fair und einfach umsetzbar sein muss, dass sie keine unnötigen Kosten verursachen darf und dass Rentensenkungen verhindert werden müssen. Der ASIP fordert deshalb im Rahmen der bevorstehenden parlamentarischen Beratungen eine Abkehr vom Vorschlag des Bundesrats und einen Wechsel auf ein auf dem ASIP-Vorschlag basierendes, breit abgestütztes Reformmodell, den sogenannten Mittelweg / ASIP-Vorschlag. Dieses Reformmodell wird zwischenzeitlich von zahlreichen Verbänden, wie zum Beispiel Baumeister, GastroSuisse, Arbeitgeber Banken, Swiss Retail Federation oder Bauernverband, unterstützt. Auch verschiedene Arbeitnehmerorganisationen unterstützen diesen Mittelweg / ASIP-Vorschlag.
Damit das BVG-Rentenniveau bei sinkendem Mindestumwandlungssatz gehalten werden kann, muss ein entsprechend höheres Altersguthaben angespart werden. Ein Weg zu diesem Ziel ist die Senkung des Koordinationsabzuges. Dadurch wird der versicherte Lohn erhöht. Damit wird gleichzeitig auch die Vorsorgesituation von Versicherten mit tieferen Einkommen deutlich verbessert, und zwar zu tieferen Kosten als beim bundesrätlichen Vorschlag. Entsprechend werden insbesondere Teilzeitbeschäftigte – oft handelt es sich um Frauen – von diesem Vorschlag profitieren.
Für eine Übergangsphase von zehn Jahren ab Inkrafttreten der Vorlage schlägt der Mittelweg / ASIP-Vorschlag für alle Neupensionierten eine prozentuale Erhöhung des BVG-Altersguthabens vor. Diese Erhöhung soll über die dafür bereits getätigten Rückstellungen zugunsten der betroffenen Versicherten finanziert werden. Aufgrund des zu hohen BVG-Umwandlungssatzes waren die PK in den letzten Jahren verpflichtet, solche Rückstellungen zu bilden. Dieses bereits vorhandene Geld für den Rentenerhalt der Übergangsgeneration einzusetzen, ist mit Abstand die sozialverträglichste und insgesamt auch die günstigste Lösung. Zusätzliche Lohnprozente und der aufwändige Umweg über den Sicherheitsfonds entfallen. Unverständlich ist vor diesem Hintergrund, dass der Bundesrat die eigens dafür getätigten Rückstellungen nicht auch für die Übergangsgeneration verwenden will.
Mit dem Mittelweg / ASIP-Reformvorschlag kann die obligatorische, berufliche Mindestvorsorge zeitnah, fair und kostengünstig überarbeitet werden, ohne dass es zu einer neuen, unfairen Umverteilung kommt. Diese zu beheben, stellt ja gerade ein wichtiges Ziel der Reform dar.
Die Ausführungen zeigen, dass sich die PK-Branche den berechtigten Reformanliegen nicht widersetzt. Es ist aber wenig zielführend, die PK im Rahmen dieser Reformdiskussionen in ein immer enger werdendes regulatorisches Korsett zu zwängen. Stattdessen ist es vielmehr notwendig, den bereits auf PK-Ebene getroffenen, erprobten Lösungen Rechnung zu tragen. Gemeinsam mit der Branche können so in einem offenen und konstruktiven Dialog nachhaltige und praxisbezogene Lösungen realisiert werden, und zwar im Interesse aller.