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Entwicklungen in der beruflichen Vorsorge

Kapitalbezüge schmälern die Rente

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Peter Wirth Geschäftsführer Vorsorgeforum

Der Vorwurf, dass die Renten sinken würden, ist irreführend, weil in den vergangenen Jahren die Kapitalbezüge stark angestiegen sind. Vielmehr blieb die Gesamtleistung bei Pensionierung weitgehend stabil. Die Ermittlung der Leistungsentwicklung und der Ersatzquote ist allerdings anspruchsvoll.

Lange Zeit hatte die Schweizer Altersvorsorge international einen ausgezeichneten Ruf: Das 3-Säulen-System galt als ausgewogenes Konzept, in dem Solidarität, Kollektivität und persönliche Verantwortung gleichberechtigt nebeneinander stehen. Doch dieser Vorbildcharakter scheint verloren zu gehen. Das zeigte sich in der Diskussion um die Abstimmung zur 13. AHV-Rente, in der vermeintliche Defizite der zweiten Säule als Argument für den Ausbau der ersten Säule herhalten mussten.

Kritisiert werden insbesondere die angeblich seit Jahren sinkenden Renten. Eine profunde Analyse der Zahlen der vergangenen Jahre zeigt jedoch ein anderes Bild: Zwar gingen die Rentenauszahlungen tatsächlich zurück. Dabei geht aber oft vergessen, dass im Gegenzug die Kapitalbezüge stetig zugenommen haben.

Kapitalbezüge nehmen stark zu

Um aufzuzeigen, wie sich die Renten stetig verringern, wird üblicherweise auf die seit 2003 laufend gesunkenen Umwandlungssätze und die Neurentenstatistik des BfS verwiesen. Beide Grössen zeigen in der Tat eine rückläufige Tendenz.

Zur Ermittlung der Leistungen der Pensionskassen greift die Höhe der Neurenten bei Pensionierung allerdings zu kurz. Denn die Leistungen setzen sich aus Renten und Kapitalbezügen zusammen, wobei Letztere in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben (siehe Tabelle).

Neurentenstatistik 2022 mit dem Mittelwert der Neurenten (beide Geschlechter, alle Alter) resp. der Kapitalbezüge:

Jahr

Neurenten monatl. CHF

Kapitalbezüge in Mrd. CHF

Anzahl Bezüge

2022

2’156

14,8

67’790

2021

2’117

12,4

63’346

2020

2’107

11,3

60’772

2019

2’157

10,3

57’318

2018

2’208

9,5

54’313

2017

2’319

8,7

51’812

2016

2’301

8,1

48’816

2015

2’319

7,5

46’883

Quelle: https://dam-api.bfs.admin.ch/hub/api/dam/assets/28785987/master

In der untersuchten Periode sind die Neurenten um rund 9 Prozent gesunken. Bei den Kapitalbezügen hat sich auf der anderen Seite eine Erhöhung um 97 Prozent bemerkbar gemacht. Dabei sind die Vorbezüge in den Jahren vor der Pensionierung noch nicht enthalten. Die Anzahl der Bezüge erhöhte sich etwas weniger stark um 44 Prozent, der mittlere Betrag nahm von 159’972 auf 218’321 Franken zu.

Kapitalbezüge in die Rechnung einbeziehen

Um einen Eindruck von der Entwicklung der Gesamtleistung zu erhalten, müssen das bezogene Kapital in Rentenäquivalente auf Basis der geltenden Umwandlungssätze umgerechnet werden. In einem Artikel der Handelszeitung vom 15. Februar 2024 hat der Journalist Michael Heim diese Rechnung gemacht. Er kommt zum Schluss, dass die Gesamtrente auf Jahresbasis deutlich höher wäre, wenn das bezogene Kapital ebenfalls in eine Rente umgewandelt worden wäre. Das Plus läge dann bei rund 40 Prozent im Jahr 2015 und über 60 Prozent im Jahr 2022.

ASIP-Direktor Lukas Müller-Brunner kommt im selben Artikel zum gleichen Schluss: «In den Jahren 2015 bis 2020 sind die Neurenten ohne Kapital deutlich gesunken, insgesamt um knapp 10 Prozent.» Rechne man die Kapitalbezüge mit ein und verrente diese, komme man ziemlich genau auf einen Leistungserhalt. «Seit 2020 sind die Kapitalbezüge deutlich angestiegen, sodass das Leistungsniveau sogar steigt, wenn man alles in Rentenform rechnet.»

Aber auch der Einbezug der Kapitalauszahlungen verbessert die Datenlage nur teilweise, weil noch zahlreiche weitere Einflussfaktoren auf die Rentenhöhe bestehen. Zu erwähnen sind u. a. der Einfluss vorzeitiger Pensionierungen, Scheidungen oder die Bezüge für Wohneigentumsförderung. Zudem wäre die Zunahme der Lebenserwartung zu berücksichtigen, weil bei unveränderter Rente eine längere Bezugsdauer eine Leistungserhöhung bedeutet.

Das Leistungsziel in der Bundesverfassung

Als Leistungsziel wird gemäss einem Faktenblatt des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) angestrebt, dass die Renten von AHV und Pensionskasse zusammen rund 60 Prozent des früheren, im BVG-Obligatorium erfassten Lohnes erreichen. Die modellmässig errechnete Rente betrug bei der Inkraftsetzung des BVG 1985 bei einem Einkommen entsprechend dem maximal versicherten AHV-Lohn 57,3 Prozent des früheren Lohnes.

Der Rückgang der Neurenten ist auf ein verändertes Bezugsverhalten der Versicherten zurückzuführen.

Die goldene Regel, die der Berechnung zugrunde liegt, besagt, dass die Verzinsung der Sparguthaben dem Lohnwachstum entsprechen soll. Bei Erfüllung der Regel resultierte 1985 eine Rente von 36 Prozent des letzten im BVG versicherten Lohnes (Ersatzquote). Mittlerweile ist die realisierte Ersatzquote auf über 40 Prozent angestiegen. Die Regel hat sich trotz gesunkener Zinsen als zu konservativ erwiesen, die Verzinsung der Altersguthaben übertraf das Lohnwachstum. Zudem werden die Renten heute rund fünf Jahre länger ausbezahlt als 1985.

Das Leistungsziel der Pensionskassen

Die Swisscanto-Studie verfolgt seit 2004 die Entwicklung der in den Leistungsplänen enthaltenen Ersatzquoten, inklusive eines «Systemwechsels» im Jahr 2015. Erfragt wird das Leistungsziel als Ersatzquote für einen AHV-Lohn in Höhe von 80’000 Franken. Seit 2015 wird für die Angaben auf die goldene Regel (Summe Altersgutschriften × Umwandlungssatz) abgestellt, in den vorhergehenden Jahren auf die reale Verzinsung.

Die ermittelten Daten zeigen den erheblichen Rückgang der voraussichtlichen Altersrente bei vollständiger Beitragsdauer und ohne Lohnerhöhung von 80 auf 69 Prozent zwischen 2013 und 2018, aber auch die anschliessende Stabilisierung und die mittlerweile eingetretene leichte Erhöhung auf 70 Prozent für 2023 (siehe Seite 35).

Offensichtlich ist die Angabe einer Ersatzquote – unabhängig von der zugrundeliegenden Basis – nicht gleichzusetzen mit den tatsächlich ausbezahlten Renten. Sie bildet eine Projektion unter Voraussetzung unveränderter technischer Parameter und gleichbleibender Reglemente sowie der vollen Beitragsdauer.

Wenngleich Vorbehalte gegenüber der Aussagekraft der nominellen Daten angebracht werden können, so erlaubt doch die Entwicklung im Mehrjahresvergleich einen schlüssigen Hinweis auf die Leistungsentwicklung und bestätigt die beschriebene Stabilität der Neurenten unter Berücksichtigung der Kapitalbezüge.

Erstaunlich stabil

Zwar ist der Umwandlungssatz seit 20 Jahren von 7,45 Prozent im Jahr 2003 auf knapp 5,3 Prozent im Jahr 2022 gesunken. Doch selbst ohne Einbezug der Kapitalauszahlungen hat sich die Höhe der Renten in den vergangenen fünf Jahren stabilisiert. Dies ist das Resultat teils umfangreicher Kompensationsmassnahmen. Dazu gehören – je nach Kasse in unterschiedlichem Ausmass – eine Erhöhung der Beiträge, Zuschüsse der Arbeitgeber und eine Umverteilung zwischen Aktiven und Rentnerinnen und Rentnern. In einzelnen Fällen wurden sie auch durch die Kassen getragen. Eigentliche Sanierungsmassnahmen blieben relativ selten.

Offen bleibt die Frage, wie sich die Leistungen in den diversen Kategorien von Vorsorgeeinrichtungen entwickelten. Nach Einschätzung von Experten haben vor allem die grossen autonomen Kassen ihr Leistungsniveau trotz teils massiver Senkung der Umwandlungssätze weitgehend gehalten. Schwieriger einzuschätzen ist die Entwicklung bei den Sammelstiftungen, die wahrscheinlich insgesamt wohl weniger günstig verlief.

Die Analyse der Leistungen in den vergangenen Jahren hat gleichzeitig gezeigt, welch starke Zunahme die Kapitalbezüge erfahren haben. Ein Rückgang der beobachteten Neurenten ist somit nicht automatisch auf tiefere Leistungen der Pensionskassen, sondern auf ein verändertes Bezugsverhalten der Versicherten zurückzuführen. Auffallend ist, dass die Zunahme nicht bloss bei geringen Altersguthaben und kleinen Kassen festzustellen ist, sondern bei stark zunehmenden durchschnittlichen Beträgen auch in gutausgebauten Kassen. Das ist eine für die 2. Säule unbefriedigende Entwicklung, auf welche die Kassen und ihre Fachverbände ein Augenmerk haben sollten.