Politisches Umfeld
Die 2. Säule ist ein zentraler Pfeiler der Schweizer Altersvorsorge. Sie trägt wesentlich zur finanziellen Sicherheit für fast alle Schweizer Erwerbstätigen und Pensionierten bei. Deshalb muss sie sich stets an grundlegende Veränderungen wie etwa die alternde Gesellschaft oder die Umgestaltungen in der Arbeitswelt anpassen.
Der Grundauftrag der 2. Säule geht im Gegensatz zur AHV über die reine Existenzsicherung hinaus. Konkret soll die obligatorische berufliche Vorsorge zusammen mit der AHV und der IV den gewohnten Lebensstandard im Alter oder bei Tod und Invalidität sichern. Deshalb bauen die Versicherten einer Pensionskasse nicht nur ein Alterskapital auf, sondern sind zugleich gegen Risikofälle versichert.
Zahlreiche Lösungen in der 2. Säule übertreffen dabei die Mindeststandards. Die Kassen nutzen ihre Freiheiten und positionieren sich dank funktionierendem Wettbewerb mit passgenauen Angeboten, die teils weit über das gesetzliche Obligatorium hinausgehen. Dass die berufliche Vorsorge im Markt so gepflegt und ausgebaut wird, ist zuallererst ein Vertrauensbeweis in das kapitalgedeckte individuelle Alterssparen. Beim Vergleich mit der Situation im Ausland hebt sich die 2. Säule zudem positiv ab und gilt als Teil des Sonderfalls Schweiz. Dank der hohen Akzeptanz hat sich in der beruflichen Vorsorge inzwischen ein Kapitalstock akkumuliert, der die Schweiz zu den Ländern mit den höchsten Pro-Kopf-Vermögen bei den Pensionierten macht.
Die Leistungsfähigkeit des breit abgestützten Systems zeigt sich nicht nur bei den Altersrenten, sondern auch in anderen Bereichen. So bieten verschiedene Kassen zivilstandsunabhängige Todesfallleistungen oder wählbare Anwartschaften an oder sie nutzen ihren Spielraum bei der korrekten Festlegung des rentenbildenden Umwandlungssatzes. Beitragsseitig sind unter anderem Verbesserungen zu beobachten aufgrund tieferer oder ganz wegfallender Koordinationsabzüge, höherer Sparbeiträge sowie wählbarer Sparbeiträge für Arbeitnehmende.
Allerdings können nicht alle Kassen die Freiheiten des überobligatorischen Bereichs für sich nutzen. Besonders betroffen sind zum einen margenschwache Branchen, deren Grenzen für überobligatorische Verbesserungen viel enger gesteckt sind. Zum anderen sind Vorsorgeeinrichtungen, die nahe am gesetzlichen Minimum operieren (sog. BVG-nahe Kassen), aufgrund gesetzlicher Beschränkungen die Hände gebunden. Dieses Handicap wiegt umso schwerer, als die betroffenen Kassen sich wegen der alternden Gesellschaft und einer sich stark verändernden Arbeitswelt neu ausrichten müssen, um ihre Rentenversprechen einzuhalten und weitere Leistungen nicht zu gefährden. Doch der starre Rahmen im gesetzlichen Obligatorium erschwert oder verunmöglicht diesen Kassen Anpassungen, die aufgrund demografischer, gesellschaftlicher oder arbeitsmarktlicher Entwicklungen unausweichlich sind – mit fatalen Folgen. Aufgrund struktureller Defizite im Obligatorium nimmt die Zahl der Kassen laufend ab, die sich ausschliesslich an den gesetzlichen Vorgaben ausrichten. Damit verschiebt sich das Pendel aus einer Zwangslage ungewollt in Richtung Überobligatorium.
Der demografische Wandel und die Veränderungen am Arbeitsmarkt stellen aber auch jene Kassen, die einen grossen Leistungsanteil im Überobligatorium angesiedelt haben, vor knifflige Aufgaben. Auch bei dieser Gruppe ist nicht auszuschliessen, dass überobligatorische Leistungen tiefer als notwendig ausfallen, womit das Leistungsziel gefährdet wäre. Bisher gibt es dafür allerdings noch kaum Anzeichen.
Trotz des gravierenden Börseneinbruchs nach Beginn des Ukraine-Krieges bewegt sich das Leistungsziel für Altersrenten bei einem AHV-pflichtigen Lohn von 80’000 Franken seit 2017 unverändert bei einem Wert von rund 70 Prozent, wie die vorliegende Studie zeigt. Damit wird das implizite Ziel, wonach die 1. und die 2. Säule ein Renteneinkommen von rund 60 Prozent des letzten Lohnes abdecken sollen, weiterhin deutlich übertroffen. Die Widerstandsfähigkeit der 2. Säule zeigt sich ausserdem daran, dass Erwerbstätige bis zur Pensionierung ein Grossteil ihrer Gelder im überobligatorischen Bereich angespart haben. Mit diesem dicken Polster spüren diese Versicherten die in der BVG-Reform geplante Reduktion des Mindestumwandlungssatzes nicht direkt, da sie keine Leistungseinbusse verkraften müssen.
Mit anderen Worten: Kassen mit einem hohen Anteil an überobligatorischen Leistungen haben mit den veränderten Rahmenbedingungen Schritt gehalten, können die Rentenanpassungen, wie sie die BVG-Reform vorsieht, gut verdauen und bestenfalls sogar mehr als ausgleichen. Man darf sich allerdings nicht täuschen lassen, denn auch diesen Kassen wird die Rechnung in Form von Mehrkosten im Überobligatorium präsentiert.
Weniger rosig sieht es für jene Kassen aus, deren Leistungen nahe am Obligatorium angesiedelt sind. Ohne Anpassung des gesetzlichen Rahmens befindet sich diese Gruppe in einer Falle: Ihnen wird auf der Leistungsseite eine Vorschrift gemacht, die sich durch die ebenfalls vorgeschriebene Beitragsseite schlicht nicht finanzieren lässt. Abhilfe schaffen kann hier einzig eine Anpassung der gesetzlichen Mindestparameter an die Realität, die gerade diese Kassen wieder manövrierfähig macht.
Die zur Abstimmung stehende BVG-Reform verbessert die Absicherung von Teilzeitbeschäftigten.
Die Sicherstellung der Finanzierbarkeit von obligatorischen Leistungen in der beruflichen Vorsorge ist denn auch ein ausdrückliches Ziel der BVG-Reform, über die das Schweizer Stimmvolk voraussichtlich im Herbst 2024 abstimmt. Wird sie an der Urne angenommen, werden indessen nicht nur die nahe beim Obligatorium operierenden Kassen gestärkt. Gleichzeitig werden auch überhöhte Rentenversprechen in der Schattenrechnung der 2. Säule gesichert und die Absicherung von Teilzeitbeschäftigten, darunter häufig Frauen, generell verbessert. Diese vom Parlament verabschiedeten Neuerungen sind im Interesse aller, die für eine nachhaltige berufliche Vorsorge einstehen.
Der Schweizerische Pensionskassenverband ASIP hat die Reformbestrebungen von Beginn an eng begleitet. Gestützt auf seine Mitglieder hat er alle Akteure in der politischen Arena mit erhärteten Fakten und fundiertem Expertenwissen beliefert, um sachgerechte Lösungen im Interesse der Versicherten zu finden. Der nach dem politischen Tauziehen aus den Räten hervorgegangene Kompromiss erfüllt zwar nicht alle Erwartungen, die der ASIP mit seinen Mitgliedern an eine strukturelle und praktikable Reform gestellt hat. Gleichwohl ist die verabschiedete BVG-Reform ein Meilenstein. Sie gibt den betroffenen Kassen dringend benötigte Handlungsspielräume zurück und passt das BVG an eine veränderte Arbeitswelt an. Ausserdem wird in der Rückschau deutlich, dass keine andere Variante, die den Anliegen der Pensionskassen noch besser entsprochen hätte, politisch mehrheitsfähig gewesen wäre.
Der ASIP versteht sich als Hüter eines funktionierenden generationenübergreifenden Systems.
Auch bei Annahme der BVG-Reform durch das Stimmvolk im Herbst bleibt ein Wermutstropfen: Mit der jetzigen Reform werden nicht alle strukturellen Probleme der 2. Säule gelöst sein. Deshalb lassen sich auch bei vorbildlich geführten Kassen langfristig nicht alle Zweifel zur Durchfinanzierung der Leistungen ausräumen. So deuten etwa aktuelle Zahlen auf eine weiter zunehmende Lebenserwartung der Menschen hin, auch wenn von medizinischer Seite immer wieder aufgezeigt wird, dass dieser Trend nicht ewig anhält.
Mit Blick auf das Gesamtsystem der Altersvorsorge stellt sich damit die Grundsatzfrage, ob es tatsächlich sinnvoll sein kann, eine stetig wachsende Lebenserwartung während einer unverändert belassenen Erwerbszeit zu finanzieren. Das naheliegendste und wirksamste Mittel zur Sicherung der Altersvorsorge ist eine Erhöhung des Rentenalters, wie es bereits 38 Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beschlossen haben. Die in der Volksabstimmung vom 3. März 2024 wuchtig verworfene Initiative zur Erhöhung des Rentenalters lässt jedoch daran zweifeln, dass in der Schweiz ein derartiger Schritt in absehbarer Zeit mehrheitsfähig ist.
Letztlich bleibt für eine gesunde 2. Säule entscheidend, die Gestaltungsmöglichkeiten im Überobligatorium nicht weiter zu beschneiden und gleichzeitig die gesetzlichen Vorgaben im Obligatorium auf neue Gegebenheiten auszurichten. Dieser Spagat ist für die Branche herausfordernd. Der ASIP versteht sich jedoch als Hüter eines nachhaltig funktionierenden generationenübergreifenden Systems. Mit dieser Richtschnur stellt der Verband die übergeordneten Interessen ins Zentrum seiner Arbeit für die 2. Säule. Das Verantwortungsbewusstsein für einen wichtigen Pfeiler des Wohlstands in der Schweiz und der Blick für das grosse Ganze lassen denn auch keinen Zweifel übrig: Die 2. Säule muss sich stets an grundlegende Veränderungen anpassen – sowohl im Überobligatorium als auch im Rahmen der gesetzlichen Minimalbestimmungen.